Interview mit procontra:
Pflegebedürftigkeit bei den BU-/Grundfähigkeits-Tarifen und Kinderprodukten
Welche Bedeutung haben die Pflegeoptionen bei den Renten- und BU-Tarifen?
Pflegeoptionen bei den Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherungen mit anzubieten, scheint heutzutage geradezu das Innovativste zu sein. Aber: was genau versteckt sich dahinter? Kann der Kunde davon ausgehen, dass er eine optimale Pflegelösung mit abschließt?
Gleich zum Anfang vorneweg: die eigentlichen Leistungsinhalte und Bedingungswerke der einzelnen Tarife sollen hier nicht betrachtet werden. Es geht ausschließlich um die Regelungen zur Pflegebedürftigkeit bzw. zu den Pflegeoptionen.
Folgende Punkte sollen eine Rolle spielen:
– Gibt es Leistungen nach SGB XI und Demenz?
– Wie sind die ADLs geregelt?
– Welche Unterlagen sind einzureichen?
– Wer stellt die Pflegebedürftigkeit fest?
Um überhaupt vergleichen zu können, welchen Umfang die Leistungsversprechen der BU-/Renten-/Grundfähigkeitsversicherungsanbieter und der Kinderprodukte haben, soll der Ausgangspunkt die Pflegerentenversicherung, dargestellt am Beispiel der IDEAL, sein.
Bei der Pflegerentenversicherung der IDEAL wird nach Einstufung lt. SGB XI geleistet, es muss zur Leistungsprüfung das MDK-Gutachten eingereicht werden. Mit diesem Gutachten werden zuerst die Leistungen nach SGB XI geprüft und danach nach dem ADL-System eine sogenannte „Günstigerprüfung“ durchgeführt. Der Versicherte erhält aus dieser Prüfung die höhere Leistung.
Bei der IDEAL erhält man lt. ADL folgende Leistungen:
Pflegestufe 1 = ab 3 Pflegepunkten
Pflegestufe 2 = 4 oder 5 Pflegepunkte
Pflegestufe 3 = 6 Pflegepunkte
Nachstehend folgen die Einstufungskriterien nach dem Punktesystem der IDEAL, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben, wenn man in den anderen Bedingungen nachschaut. Es werden in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht alle ADL-Bedingungen aufgeführt.
An- und Auskleiden – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person – auch bei Benutzung krankengerechter Kleidung – sich nicht ohne Hilfe einer anderen Person an- oder auskleiden kann.
Einnehmen von Mahlzeiten und Getränken – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person – auch bei Benutzung krankengerechter Essbestecke und Trinkgefäße – nicht ohne fremde Hilfe bereits vorbereitete essfertige Nahrung und Getränke aufnehmen kann.
Waschen – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person – auch bei Benutzung von Hilfsmitteln wie Wannengriff oder Wannenlift – sich nicht ohne Hilfe einer anderen Person so waschen kann, dass ein akzeptables Maß an Körperhygiene gewahrt bleibt.
Fortbewegen im Zimmer – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person – auch bei Inanspruchnahme einer Gehhilfe oder eines Rollstuhls – die Unterstützung einer anderen Person benötigt, um sich an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort auf ebener Oberfläche von Zimmer zu Zimmer fortzubewegen.
Aufstehen und Zu-Bett-Gehen – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person nur mit Hilfe einer anderen Person das Bett verlassen oder in das Bett gelangen kann.
Verrichten der Notdurft – 1 Punkt
Hilfebedarf liegt vor, wenn die Versicherte Person die Unterstützung einer anderen Person benötigt, weil sie sich nach dem Stuhlgang nicht allein säubern kann, ihre Notdurft nur unter Zuhilfenahme einer Bettschüssel verrichten kann oder weil der Darm bzw. die Blase nur mit fremder Hilfe entleert werden kann. Besteht eine Inkontinenz des Darms bzw. der Blase, die durch die Verwendung von Hilfsmitteln wie Windeln, speziellen Einlagen, einem Katheter oder einem Kolostomiebeutel ausgeglichen werden kann, liegt hinsichtlich der Verrichtung der Notdurft keine Pflegebedürftigkeit vor, solange die Versicherte Person bei Verwendung dieser Hilfsmittel zur Verrichtung der Notdurft nicht auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen ist.
Was kann man sich unter dem ADL-System vorstellen?
ADL heißt „activities of daily living“, manchmal heißt das Punktesystem auch ATL, also Aktivitäten des Täglichen Lebens.
Wenn sich das SGB XI einmal inhaltlich ändern sollte, kann bezweifelt werden, ob man noch die Leistungen, so wie man sie einmal abgeschlossen hat, auch aus dem Tarif lt. SGB XI erhält. In diesem Fall kann man dann auf die ADL-Leistungen zurückgreifen, denn diese sind schon heute in den Bedingungen genau definiert und Vertragsbestandteil.
Ansonsten wird, wie oben schon beschrieben, eine „Günstigerprüfung“ durchgeführt: wodurch erhält der Versicherte mehr Leistung aus der Pflegerente: entweder lt. SGB XI oder nach dem ADL-System. Es ist immer eine gute Regelung, wenn man die Wahl hat.
Allerdings sollte man wissen, dass die Inhalte dieser Punkte nicht identisch mit den Pflegestufen des SGB XI sind und die Einstufung auch anders vorgenommen wird. Es kommt kein MDK vorbei und stuft nach zeitlichen Komponenten ein, sondern der pflegerische Umfang wird ärztlich festgestellt. Einige Versicherer verwenden inzwischen für die Prüfung der ADL-Punkte das eingereichte MDK-Gutachten. Da der MDK die zeitliche Komponente prüft und es lt. SGB XI völlig egal ist, ob man mit Hilfe z.B. eines Rollators noch von A nach B kommt, stellt sich hier die Frage, ob das MDK-Gutachten wirklich aussagefähig genug ist, um die Punkte festzustellen.
Anhand der folgenden Beispiele wird deutlich, dass es auch nicht gerade einfach ist, die Pflegepunkte zu erhalten.
Der Pflegepunkt „Fortbewegen im Zimmer“ beinhaltet folgendes:
„Hilfebedarf liegt vor, wenn die versicherte Person, auch bei Inanspruchnahme einer Gehhilfe oder eines Rollstuhls, die Unterstützung einer anderen Person benötigt, um sich an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort auf ebener Oberfläche von Zimmer zu Zimmer fortzubewegen.“
Was bedeutet eigentlich „auch bei Inanspruchnahme einer Gehhilfe oder eines Rollstuhls“? Solange man die Gehhilfen, wie z.B. einen Rollator etc. oder den Rollstuhl noch selbst benutzen kann und keine Hilfe dabei benötigt, erhält man diesen Punkt nicht. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass man in der ersten Phase der Pflegebedürftigkeit noch relativ lange ohne Hilfe klar kommt. Bei der gesetzlichen Pflegeeinstufung spielt das keine Rolle. Hier wird der Pflegebedarf festgestellt und hinterher eine Empfehlung für Hilfsmittel ausgesprochen, um sich den Alltag erleichtern zu können.
Mehr lesen Sie hier: Pflegeoptionen RV_BU_Kinderprodukte_04_2014
Bekomme ich auch eine Pflegestufe, wenn ich meinen Haushalt nicht mehr allein führen kann?
Um eine Pflegestufe zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Es reicht definitiv nicht aus, wenn man nicht mehr einkaufen kann und seine Fenster nicht mehr allein putzen kann. Das Hauptaugenmerk liegt im Bereich der Grundpflegetätigkeiten, wo der Pflegebedarf am größten sein muss.
Für die Pflegestufe 1 (erhebliche Pflegebedürftigkeit) muss mindestens 1 x täglich für 2 Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und mehrfach wöchentlich Hauswirtschaftliche Versorgung Pflegebedarf bestehen. Die Grundpflegetätigkeiten müssen pro Tag mehr als 45 min. betragen, der Bedarf insgesamt mindestens 1,5 Std. im Tagesdurchschnitt.
Für die Pflegestufe 2 (Schwerpflegebedürftigkeit) muss mindestens 3 x täglich zu verschiedenen Zeiten aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und mehrfach wöchentlich Hauswirtschaftliche Versorgung Pflegebedarf bestehen. Die Grundpflegetätigkeiten müssen pro Tag mindestens 2 Std. betragen, der Bedarf insgesamt mindestens 3 Std. im Tagesdurchschnitt.
Bei der Pflegestufe 3 (Schwerstpflegebedürftigkeit) ist der Bedarf ist so groß, dass jederzeit eine Pflegeperson erreichbar sein muss, weil der Hilfebedarf Tag und Nacht anfällt. Die Grundpflegetätigkeiten müssen pro Tag mindestens 4 Std. betragen, der Bedarf insgesamt mindestens 5 Std. im Tagesdurchschnitt.
Dann gibt es noch den Härtefall. Hier gibt es einen außergewöhnlichen Bedarf rund um die Uhr, z.B. bei lebensbedrohlichen Krankheiten im Endstadium. Die Grundpflegetätigkeiten umfassen mindestens 7 Std. pro Tag, davon entfallen 2 Std. pro Nacht. Es werden mehrere Pflegepersonen benötigt.
Wie funktioniert die Beantragung einer Pflegestufe?
Die Einstufung wird schriftlich per Antragsformular bei der Pflegekasse (entspricht in der Regel der Krankenkasse) beantragt, am besten per Einschreiben oder Einwurf-Einschreiben. Es sollte auf jeden Fall sichergestellt werden, dass der Antrag auch wirklich bei der Pflegekasse eingegangen ist. Die Bearbeitungsfrist beträgt seit der letzten Pflegereform in 2008 fünf Wochen.
Von der Pflegekasse wird der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) beauftragt, bei den Privatkranken- und Pflegeversicherten kommt der Medic Proof. Der Gutachter meldet sich in der Regel schriftlich an. Die Angehörigen, die Pflegepersonen, der Pflegedienst sollten über den Termin informiert werden, damit sie beim Gutachtertermin mit anwesend sein können.
Der MDK-Termin findet in der häuslichen Pflegeumgebung statt. Die Pflegebedürftigkeit wird anhand eines Fragenkataloges mit Untersuchungen festgestellt. Der MDK erstellt ein Gutachten und reicht es bei der Pflegekasse ein. Die Pflegekasse trifft ihre Entscheidung auf Pflegeleistung auf der Grundlage des Gutachtens.
Der Pflegebedürftige soll mitwirken und unterstützen. Er ist im Wohnbereich zu untersuchen. Wenn kein Einverständnis des Antragstellers vorliegt, kann die Pflegekasse die Leistung verweigern. Die Pflegesituation soll nicht beschönigt, aber auch nicht übertrieben werden. Falls wesentliche Fakten der Pflegesituation nicht erfragt werden, sollten auf jeden Fall eigene Angaben gemacht werden, wie z.B. Informationen über den Gesundheitszustand, die behandelnden Ärzte, die Vorerkrankungen, Medikation. Wenn Krankenhausberichte vorhanden sind, sollten diese auch mit vorgelegt werden.
Befindet sich der Antragssteller im Krankenhaus, muss innerhalb einer Woche die Untersuchung im Krankenhaus stattfinden.