Angst ist ein mächtiges Gefühl. Sie lässt uns handeln, manchmal vorschnell, manchmal aus Überzeugung. Sie lähmt, sie motiviert, sie schafft Gemeinschaft – aber sie macht uns auch gefügig. Die Geschichte zeigt: Wer die Angst kontrolliert, kontrolliert oft auch die Menschen. Von der mittelalterlichen Kirche bis hin zu heutigen Regierungen und Medien – die bewusste Erzeugung oder Verstärkung von Angst war und ist ein zentrales Mittel, um Macht zu erhalten oder auszubauen.
Angst im Mittelalter: Der Schlüssel zur Seelenkontrolle
Im Mittelalter war die Kirche nicht nur religiöse Instanz, sondern auch ein mächtiger politischer und sozialer Akteur. Ihre Macht beruhte nicht zuletzt auf der geschickten Steuerung von Ängsten – insbesondere der Angst vor dem ewigen Höllenfeuer.
Menschen glaubten fest daran, dass ihr Verhalten im Diesseits direkten Einfluss auf ihr Schicksal im Jenseits hatte. Diese Angst vor der Hölle und dem göttlichen Zorn wurde von der Kirche genutzt, um Gehorsam zu erzeugen – sei es durch den Ablasshandel, durch rigide Moralvorschriften oder durch die Angst vor der Exkommunikation. Wer nicht konform lebte, riskierte nicht nur soziale Ausgrenzung, sondern – so die Überzeugung – auch ewige Verdammnis.
Zudem förderte die Kirche gezielt Angst vor Ketzerei, Hexerei und dem Teufel, um Abweichungen von der offiziellen Lehre zu unterdrücken. Angst war ein Werkzeug, um die „Herde“ zusammenzuhalten.
Frühe Neuzeit: Angst als Herrschaftsinstrument
In der frühen Neuzeit veränderten sich die gesellschaftlichen Strukturen, doch die Angst blieb ein zentrales Herrschaftsmittel. Die Hexenverfolgung erreichte im 16. und 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die Mächtigen nutzten die tiefsitzende Angst vor übernatürlichen Kräften, um unliebsame Personen auszuschalten oder soziale Spannungen zu kanalisieren.
Ein weiteres, dunkles Kapitel dieser Zeit war das gezielte Schüren der Angst vor den Juden. Antijüdische Pogrome und Verfolgungen wurden unter anderem mit Ritualmordlegenden, Brunnenvergiftungen oder vermeintlicher Hostienschändung begründet. Juden galten als „fremd“ und wurden bei gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen regelmäßig als Sündenböcke instrumentalisiert. Diese angstgesteuerte Ausgrenzung hatte verheerende Folgen und bereitete den Boden für spätere ideologische Katastrophen.
Politische Herrscher bedienten sich ebenfalls der Angst – etwa durch Drohungen mit Krieg, Strafen oder Repressionen gegen Andersdenkende. Die Angst vor dem „Feind im Inneren“ wurde immer wieder neu entfacht, um Kontrolle und Loyalität zu sichern.
Angst in der Moderne: Ideologien und ihre Schattenseiten
Auch im 20. Jahrhundert war Angst ein wirksames Mittel der Massenlenkung. Totalitäre Systeme wie der Nationalsozialismus oder der Stalinismus nutzten die Angst vor „dem Anderen“, vor Spionen, vor dem „inneren Feind“ und vor Verrat, um eine Atmosphäre der Paranoia zu schaffen, in der Kritik kaum mehr möglich war.
Insbesondere im Nationalsozialismus wurde die Angst vor den Juden systematisch kultiviert. Durch gezielte Propaganda wurde ein Bild des „jüdischen Weltfeinds“ gezeichnet – als Finanzmacht, als moralischer Zersetzer, als „Verursacher“ von Krieg, Kommunismus und Kapitalismus zugleich. Diese inszenierte Bedrohung legitimierte Diskriminierung, Entrechtung, Vertreibung – und schließlich die industrielle Vernichtung von sechs Millionen Menschen. Die Angst wurde zur ideologischen Triebfeder eines beispiellosen Verbrechens.
Auch in der Sowjetunion wurden „Volksfeinde“, Juden, Intellektuelle oder politische Gegner durch inszenierte Schauprozesse und permanente Angst vor Verhaftung und Deportation unterdrückt. Propaganda, Zensur und staatliche Überwachung bauten auf dieser Angst auf – und machten viele Menschen zu Mitläufern. Wer fürchtet, selbst Opfer zu werden, duckt sich eher weg, als sich zu widersetzen.
Die neue Angst: Klimakrise, Pandemien, geopolitische Bedrohungen
Heute leben wir in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft. Und doch – Angst ist präsenter denn je. Nur hat sie ihre Form gewandelt.
- Die Angst vor dem Klimawandel
Die Klimakrise ist zweifellos real – ihre Folgen sind wissenschaftlich belegt. Doch auch hier wird Angst gezielt genutzt: Politiker, Medien und Aktivisten erzeugen eine Dringlichkeit, die nicht nur zum Handeln motivieren, sondern auch moralischen Druck aufbauen soll. Wer den Klimawandel infrage stellt oder auch nur differenzieren möchte, wird schnell als „Klimaleugner“ stigmatisiert.
Verzicht, Einschränkungen, neue Steuern – vieles wird mit dem Hinweis auf die drohende Katastrophe begründet. Natürlich ist Umweltschutz wichtig. Doch wenn Angst zur Grundlage politischen Handelns wird, besteht immer die Gefahr, dass kritische Stimmen unterdrückt werden.
- Die Angst vor Pandemien
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie stark Angst das Verhalten einer ganzen Gesellschaft beeinflussen kann. Innerhalb weniger Wochen wurden Grundrechte eingeschränkt, Kontakte reduziert, Berufsgruppen gegeneinander ausgespielt. Die Angst vor Ansteckung, vor dem Tod, aber auch vor gesellschaftlicher Ächtung war allgegenwärtig.
Auch hier: Maßnahmen mögen medizinisch geboten gewesen sein – aber sie waren politisch nur durchsetzbar, weil die Angst groß genug war. Angst war das Bindemittel, das kollektive Akzeptanz für bisher undenkbare Eingriffe in das private und öffentliche Leben schuf.
- Die Angst vor Russland, Krieg und Instabilität
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 ist ein neues Kapitel in der europäischen Sicherheitslage aufgeschlagen. Die Angst vor einem größeren Krieg – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in angrenzenden Regionen – hat deutlich zugenommen.
In Deutschland und im Baltikum wird zunehmend die Angst vor einem russischen Angriff auf NATO-Gebiete diskutiert. Politiker, Militärexperten und Medien greifen diese Angst auf, um die Bevölkerung auf eine neue Phase der „Kriegstüchtigkeit“ einzustimmen – ein Begriff, der spätestens seit Anfang 2024 intensiv in den öffentlichen Diskurs eingegangen ist. Die Bundeswehr soll massiv aufgerüstet, der Zivilschutz gestärkt, der Wehrdienst wieder eingeführt oder verlängert werden.
Medienberichte über Angriffsszenarien, angebliche Zeitfenster für eine russische Invasion (z. B. „2030 ist Deutschland nicht mehr verteidigungsfähig“) und die ständige Präsenz von Bedrohungslagen erzeugen eine Atmosphäre latenter Unsicherheit. Auch hier stellt sich die Frage: Wo endet sachliche Information – und wo beginnt die gezielte Mobilisierung durch Angst?
Was fürchten die Deutschen wirklich?
Laut dem R+V Langzeitvergleich „Die Ängste der Deutschen“, der seit 1992 jährlich erhoben wird, fürchten sich die Deutschen vor allem vor Themen, die direkt ihr tägliches Leben und ihre persönliche Sicherheit betreffen. Die Top-Ängste der letzten Jahre waren unter anderem:
- Steigende Lebenshaltungskosten
- Überforderung des Staates durch Zuwanderung
- Naturkatastrophen und Extremwetter
- Konflikte durch den Ukraine-Krieg
- Pflegenotstand im Alter
- Schlechter Zustand der Wirtschaft
- Spannungen durch politische Entscheidungen
Diese Umfragen zeigen deutlich: Die Ängste der Bevölkerung sind oft wirtschaftlich oder sozial begründet. Es geht um die Angst, den eigenen Lebensstandard nicht halten zu können, um den Verlust sozialer Sicherheiten oder die Überforderung des Gemeinwesens. Die „großen Ängste“, die medial oft stärker betont werden – wie etwa globale Konflikte oder Klimakatastrophen – spielen für viele zwar auch eine Rolle, rangieren aber häufig hinter alltagsnäheren Sorgen.
Angst als Machtinstrument – ein kritischer Blick
Was bedeutet das alles? Muss man nun alle Warnungen ignorieren, nur weil sie Angst erzeugen? Natürlich nicht. Doch es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wann Angst aufklärt – und wann sie instrumentalisiert wird.
Typische Merkmale der Angsterzeugung zur Kontrolle:
- Stark vereinfachte Narrative („Wenn du nicht X tust, passiert Y“)
- Moralisierung des Diskurses („Nur die Guten glauben an…“)
- Kampfbegriffe gegen Kritiker („Leugner“, „Schwurbler“, „Putinversteher“)
- Emotionale statt rationale Kommunikation
- Fehlender Raum für Zwischentöne oder Alternativen
Wie kann man sich schützen?
- Eigenständiges Denken: Medienkompetenz ist entscheidend. Quellen vergleichen, Statistiken hinterfragen, nicht alles ungeprüft übernehmen.
- Historisches Bewusstsein: Wer weiß, wie oft Angst in der Geschichte genutzt wurde, erkennt Muster schneller.
- Diskurs zulassen: Eine gesunde Demokratie lebt vom Streit. Wer andere Meinungen zulässt, ist weniger manipulierbar.
- Emotionen erkennen: Wer sich seiner Ängste bewusst ist, kann sie besser einordnen – und gezielt gegensteuern.
- Solidarität statt Spaltung: Angst trennt – Gemeinschaft stärkt.
Fazit
Angst ist menschlich – und sie gehört zum Leben dazu. Doch sie ist auch ein politisches Werkzeug. Wer Angst gezielt schürt, kann Menschen steuern, lenken, unterdrücken. Von der mittelalterlichen Kirche über totalitäre Systeme bis hin zur modernen Demokratie – immer wieder zeigt sich: Der Umgang mit Angst entscheidet über Freiheit oder Unterwerfung.
Deshalb ist Wachsamkeit gefragt – nicht nur gegenüber äußeren Bedrohungen, sondern auch gegenüber denen, die sie benennen. Eine offene Gesellschaft braucht Sicherheit – aber auch den Mut, Angst zu hinterfragen.