Der Beratungsprozess ist beendet. Die gewünschte Berufsunfähigkeitsversicherung, Krankenversicherung, Lebensversicherung etc. ist, nachdem man sich gemeinsam mit dem Kunden durch das „Kleingedruckte“ einzelner Anbieter gekämpft hat, für den Kunden in greifbarer Nähe. Natürlich wurde schon im ersten Beratungsgespräch darauf hingewiesen, dass der korrekten und vollständigen Beantwortung der vom Versicherer im Versicherungsantrag in Textform gestellten Fragen eine besondere Wichtigkeit zukommt. Und trotzdem gibt es Kunden, die diese wichtige Information auf die leichte Schulter nehmen. Teils geschieht das aus aus einer gewissen Lässigkeit heraus (schließlich ist man ja kerngesund) , teilweise weil der Kunde sich die Zeit für eine saubere Recherche nicht nehmen will und leider immer noch, weil der Vermittler die Fragen bagatellisiert, damit dem Abschluss nichts mehr im Wege steht.

Wie kann sich eine falsche oder unvollständige Beantwortung der Gesundheitsfragen nun auswirken?

Vor einigen Tagen erhielt ich einen Hilferuf eines Kollegen. Folgender Sachverhalt wurde mir geschildert:

Der Kunde des Kollegen hat sich vor einem Jahr selbstständig gemacht und ein Krankentagegeld über die private Krankenversicherung abgeschlossen. Für ihn bekannte Vorerkrankungen hat der Kunde im Antrag angegeben. Der Kunde musste nun kürzlich wegen Arbeitsunfähigkeit (Krankschreibung) das Krankentagegeld in Anspruch nehmen. Bei Nachfragen von der PKV beim Hausarzt wurden nun über Akteneinsicht neue Erkrankungen ersichtlich, die der Kunde beim Antrag nicht angegeben hatte. Die PKV erklärt darauf hin den Rücktritt vom Vertrag. Der Kunde kennt diese Vorerkrankungen gar nicht und ist irritiert. Fakt ist, dass der Hausarzt Diagnosen, bzw. Krankschreibungen aufgrund von Fehldiagnosen getätigt hat . So hat der Hausarzt angabegemäß eine depressive Episode in den Akten vermerkt. Nach Aussage des Kunden hatte er zum damaligen Zeitpunkt körperliche Probleme, deren Ursache vom Hausarzt nicht ermittelt werden konnte. Zwei Wochen später war der Kunde beim Facharzt. Dieser hat die Ursache der Beschwerden diagnostiziert und und das Problem gelöst.

Lassen Sie uns einige Passagen etwas näher beleuchten:

Für ihn bekannte Vorerkrankungen hat der Kunde im Antrag angegeben.

Grundsätzlich müssen die in Textform durch den Versicherer im Antrag gestellten Fragen vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet werden. Natürlich kann der Kunde nur Umstände angeben, die ihm bekannt sind. Wer z. B. seit Jahren nicht beim Arzt war, kann natürlich nur subjektive Befindlichkeiten angeben. Hat der Kunde aber z. B. eine Erkrankung, die bisher beschwerdefrei verläuft und z. B. nur durch bildgebende Verfahren oder Laboruntersuchungen zu diagnostizieren ist, kann er dies nicht wissen und kann die Erkrankung demnach auch nicht angeben. Anders verhält es sich im hier vorliegenden Fall. Der Kunde war beim Arzt und hätte die Diagnose erfragen können (z. B. durch Aushändigung einer Kopie seiner Patientenakte). Unklar ist im vorliegenden Fall, ob der Kunde den Besuch beim Hausarzt überhaupt angegeben hat bzw. wie genau die Gesundheitsfragen formuliert waren.

Bei Nachfragen von der PKV beim Hausarzt wurden nun über Akteneinsicht neue Erkrankungen ersichtlich, die der Kunde beim Antrag nicht angegeben hatte.

Wahrscheinlich hat der Kunde bei Beantragung der Versicherung eine generelle Schweigepflichtsentbindung erklärt. Das geschieht im Antrag durch ankreuzen des entsprechenden Feldes bzw. früher durch Nichtstreichung der entsprechenden Passage. Grundsätzlich kann der Kunde verlangen, dass der Versicherer vor einer Arztanfrage die Einwilligung des Kunden schriftlich einholt. Wäre der Kunde so vorgegangen, hätte er vorher mit dem angefragten Hausarzt Rücksprache halten können. Die mutmaßliche Fehldiagnose wäre vielleicht aufgefallen und hätte eventuell korrigiert werden können. Oder es hätte ein Attest des Facharztes angefordert werden können, dass den Kunden gegebenenfalls entlasten würde. Das ist aber im Prinzip ein unnötig kompliziertes und nicht zwangsläufig von Erfolg gekröntes Unterfangen. Die Lösung des Problems wäre viel einfacher. Wenn sich der Kunde vor Antragstellung eine Kopie seiner Patientenakten der Ärzte, Heilpraktiker, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und sonstigen Heilbehandlern aushändigen lässt, die er in den letzten Jahren (je nach Zeitraum der Fragestellungen im Antrag) konsultiert hat, kann der Kunde die Diagnosen in Erfahrung bringen und bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist tätig werden bzw. die Fragen zutreffend beantworten. Der Auskunftsanspruch gegenüber Ärzten für den Patienten ergibt sich übrigens aus § 10 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel:

§ 10 Dokumentationspflicht

(1) Ärztinnen und Ärzte haben über die in Ausübung ihres Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für die Ärztin oder den Arzt, sie dienen auch dem Interesse der Patientin oder des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.
(2) Ärztinnen und Ärzte haben Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen grundsätzlich in die sie betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu gewähren; ausgenommen sind diejenigen Teile, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen der Ärztin oder des Arztes enthalten. Auf Verlangen sind der Patientin oder dem Patienten Kopien der Unterlagen gegen Erstattung der Kosten herauszugeben.
(3) Ärztliche Aufzeichnungen sind für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine längere Aufbewahrungspflicht besteht.
(4) Nach Aufgabe der Praxis haben Ärztinnen und Ärzte ihre ärztlichen Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde gemäß Absatz 3 aufzubewahren oder dafür Sorge zu tragen, dass sie in gehörige Obhut gegeben werden. Ärztinnen und Ärzte, denen bei einer Praxisaufgabe oder Praxisübergabe ärztliche Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten in Obhut gegeben werden, müssen diese Aufzeichnungen unter Verschluss halten und dürfen sie nur mit Einwilligung der Patientin oder des Patienten einsehen oder weitergeben.
(5) Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien bedürfen besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, um deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern. Ärztinnen und Ärzte haben hierbei die Empfehlungen der Ärztekammer zu beachten.

Die PKV erklärt daraufhin den Rücktritt vom Vertrag.

Dies ist eine mögliche Vorgehensweise für den Versicherer, die sich aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und dem BGB ergibt. Der Versicherer muss hier den Nachweis führen, dass der Kunde den Versicherer durch falsche oder unvollständige Angaben arglistig getäuscht hat, sich quasi den Versicherungsschutz durch Arglist „erschlichen“ hat. Erfahrungsgemäß erfolgt hier durch den Versicherer zunächst nur die Behauptung der arglistigen Täuschung. Ein Beweis wird häufig nicht sofort erbracht. Als Kunde sollte man jetzt unverzüglich einen Fachanwalt für Versicherungsrecht oder einen spezialisierten, zugelassenen Versicherungsberater konsultieren, da hier möglicherweise die Zurückweisung der Behauptung des Versicherers innerhalb bestimmter Fristen erfolgen muss.

Fazit:

Der Kunde sollte sich vor Antragstellung immer Kopien seiner Patientenakten besorgen. Kaum jemand kann sich an alle Diagnosen erinnern. Und selbst wenn, muss die mündliche Auskunft des Arztes leider nicht immer mit dem übereinstimmen, was als (Abrechnungs-) Diagnose in der Patientenakte erscheint!

 

 

Anmerkung: Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde ausschließlich die grammatikalisch korrekte männliche Form (z. B. Kunde, Arzt, Versicherungsberater) gewählt. Selbstverständlich sind auch alle Frauen gleichermaßen damit gemeint!