Walter R. hatte irgendwann im Radio gehört, dass er sein Einfamilienhaus zu Geld machen kann, ohne es zu verkaufen.
Der rüstige Rentner lebt seit einigen Jahren alleine in seinem Haus am Stadtrand von Berlin. Seine Frau ist schon vor vielen Jahren verstorben. Die Ehe blieb kinderlos. Walter R. hat also keine Nachkommen, denen er sein Häuschen vererben könnte. Über einen Verkauf hat er nie ernsthaft nachgedacht. Fast 40 Jahre lebt der 71-jährige nun in seinem Haus und will eigentlich nicht in eine kleinere Wohnung ziehen. Die Gartenarbeit macht ihm Spaß. Und nach wie vor kann der Werkzeugmacher Meister im Ruhestand viele notwendige Arbeiten an seinen Haus selber ausführen. Handwerkliches Geschick und Ausdauer haben ihn schon immer ausgezeichnet.
Walter R. lebt bescheiden und kommt über die Runden. Aber den einen oder anderen Euro als Zubrot für seine kleine Rente könnte er schon gebrauchen.
Neulich hat er etwas von einer „Umkehrhypothek“ gehört. Was eine Hypothek ist, das weiß Walter R. ziemlich genau. Aber diese Umkehrhypothek soll es ihm laut diesem kurzen Wortschnippsel, den er da im Radio auf geschnappt hat ermöglichen, mit seinem eigenen Häuschen Geld zu verdienen, ohne es verkaufen zu müssen. Walter R. wollte nun genauer wissen, wie das geht und fand folgendes heraus:
Um in den Genuss einer monatlichen oder einmaligen Zahlung zu kommen, muss er es einer Bank gestatten, sich ins Grundbuch seines Hauses eintragen zu lassen. Also so, wie bei einem normalen Immobilienkredit. Er muss zwar keine monatliche Raten bezahlen, aber die Zinsen laufen auf und erhöhen stetig seine Schulden bei der Bank. Dafür erhält der Rentner bis zu seinem Lebensende eine monatliche Rente von der Bank. Die Sicherheit der Bank ist der Wert der Immobilie, die sie im verkaufen wird, sobald Walter R. verstorben ist. Wenn der Rentner also sehr alt wird, könnte das ein gutes Geschäft für ihn werden.
Doch wie hoch ist denn nun die Zahlung, die die Bank leisten wird und funktioniert das tatsächlich so einfach? Walter R. macht sich auf den Weg zu seiner Hausbank. Ordentlich wie er ist, hat er alle Unterlagen zu seinem Haus dabei. Zeichnungen, Berechnungen und aktuelle Fotos hat er in einer Mappe zusammengestellt. Das Gespräch in der Bank wird allerdings sehr kurz. „Solche Geschäfte machen wir leider nicht“, erklärt ihm die junge Bankangestellte. Er soll sich im Internet erkundigen, welche Bank das macht, rät sie ihm.
Einen Internetanschluss hat der rüstige Rentner schon seit Jahren. Und seinen nicht mehr ganz neuer Computer weiß er durchaus zu bedienen. Also macht er sich auf die Suche und findet heraus, dass es nur einen Anbieter gibt, der eine „echte“ Umkehrhypothek anbietet. Würde er in Schleswig-Holstein leben, käme noch ein weiterer Anbieter hinzu. Und dann findet er noch eine Versicherungsgesellschaft, die ebenfalls ein Angebot bereit hält. Allerdings soll er dort die Zinsen monatlich bezahlen. Das will er aber nicht.
Mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen erkundigt er sich telefonisch beim einzigen Anbieter. Walter R. kann kaum glauben, was er dort erfährt: Die Bank will ihm nur zwischen 15 und 35 Prozent des Wertes seines Hauses in einer Summe auszahlen. Die Eintragung ins Grundbuch erfolgt jedoch in voller Höhe. Weil er erst 71 Jahre alt ist, will ihm die Bank nur 30.000 Euro auszahlen. Das ist zwar eine Menge Geld, aber das Haus ist nach Einschätzung der Bank 150.000 Wert. Eine monatliche Rentenzahlung lehnt die Bank ab. „Wir arbeiten ausschließlich mit Einmalzahlungen, das Risiko ist uns sonst zu hoch“, erfährt er telefonisch.
Die Umkehrhypothek darf man wohl getrost als Reinfall bezeichnen, resümiert Walter R. für sich selbst. Und nun? Wieder macht er sich auf den Weg zu seiner Hausbank, denn er hat bei seinen Recherchen herausgefunden, dass er auf sein abgezahltes Haus auch einen Kredit erhalten kann. Diesmal berät ihn eine andere junge Bankangestellte. Ein Kredit sei durchaus möglich. Wegen seines Alters möchte die Bank die Kreditsumme aber auf 65.000 Euro begrenzen. Dafür hat Walter R. Verständnis. Er lauscht den Worten der Bankberaterin also weiter sehr aufmerksam. 4% Zinsen will die Bank für diesen Kredit berechnen. Und wegen seines Alters eine Tilgung von 2,5% haben. Das macht eine monatliche Rate von 352 Euro aus. Die 65.000 Euro könne er ja dann anlegen und sich die Erträge auszahlen lassen, so die Bankangestellte weiter. Sie habe da auch schon eine sehr gute Empfehlung für ihn. Im Kopfrechnen war Walter R. schon immer schnell. Er kalkuliert: Wenn ich 352 Euro im Monat zahlen soll und rund 250 Euro Zusatzeinkommen mit meiner Immobilie erzielen will, dann muss ich also über 600 Euro Zinsen mit meiner Anlage von 65.000 Euro erzielen. Um 600 Euro Zinsen monatlich zu erzielen, müsste meine Geldanlage also über 11% Zinsen im Jahr einbringen.
Die junge Bankangestellte ist verblüfft über die Rechenkünste des Rentners. Sie kommt kurz ins Stocken, erklärt dann aber selbstbewusst, das der beste Aktienfonds der bankeigenen Fondsgesellschaft das „spielend schaffen würde“.
Walter R. bedankt sich für das Gespräch und macht sich auf den Weg nach Hause. Natürlich ist er schlau genug um zu wissen, dass solche Prozentsätze nicht realistisch sind. Und wenn doch, dann mit einem unglaublich hohen Risiko. Also auch diese Idee funktioniert nicht.
Aber noch will sich der Rentner nicht geschlagen geben. Er hat einen „Fehler“ in seiner Berechnung erkannt. Er lebt ja schließlich nicht ewig. Und weil er auch keine Erben hat, kann er die 65.000 Euro ja komplett verbrauchen. Wenn er mit einer Lebenserwartung von noch 15 Jahren rechnet uns sein Geld auf ein sicheres Tagesgeldkonto mit monatlicher Zinsgutschrift von aktuell 2% legt, dann kann er sich immerhin gut 417 Euro monatlich auszahlen lassen. Aber nach 15 Jahren steht sein Bankkredit immer noch bei bei mehr als 31.500 Euro, während sein Kapital aufgezehrt ist. Aber Skrupel hat er dabei keine. Die Bank kann ja schließlich sein Haus verkaufen und den Gewinn einstreichen, wenn er nicht mehr lebt. Aber 417 Euro monatlich reichen ihm nicht. Das wären ja nur 65 Euro mehr, als er an die Bank als Kreditrate zahlen muss. Aber vielleicht steigen ja die Anlagezinsen und die Sache rechnet sich doch. Das ist ihm aber zu unsicher und er begräbt auch diesen Plan.
Enttäuscht stellt der Rentner nun fest, dass er sich entweder weiterhin finanziell bescheiden muss, oder sein geliebtes Haus doch verkaufen muss. Wenn er sein Haus tatsächlich für 150.000 Euro verkaufen kann und dieses Geld dann anlegt und innerhalb von 15 Jahren verbraucht, dann käme er bei 2% Verzinsung auf stolze 963 Euro im Monat. Abzüglich einer Miete von 400 Euro blieben ihm also für die nächsten 15 Jahre 563 Euro monatlich als Zusatzeinkommen zu seiner Rente.
Walter R. muss sich nun also entscheiden, ob er sein Haus, an dem so viele Erinnerungen hängen, tatsächlich verkaufen will.
So hat er sich das nicht vorgestellt, als er sich damals mit seiner Frau das Haus angeschafft hat. Immer war die Rede von „der sicheren Rente“. Als er erkannte, das das so alles nicht stimmt, war es zu spät, um noch eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen.
Walter R. nippt gedankenverloren an seinem Kaffee. Er denke jetzt doch notgedrungen über einen Verkauf nach, sagt er mehr zu sich. „Steine kann man nicht essen, egal, wie lange man sie kocht“, erklärt er zum Anschluss unseres Gesprächs.
Über den Autor: Thomas Kliem
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